Gestärkt in die Operation: Ernährungsmanagement vor großen Eingriffen essenziell
Eine gute Ernährung ist wirksamer als manche Medizin, das belegen zahlreiche Studien: Patientinnen und Patienten, die ausreichend mit Energie und Proteinen versorgt sind, genesen oft schneller und verlassen das Krankenhaus früher. Bei kritisch Kranken kann eine gezielte Ernährungstherapie sowohl die Komplikationsrate als auch das Sterberisiko senken. Diese Erkenntnisse sind bereits heute in Leitlinien zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen verankert. Dennoch werden Ernährungsscreening und -therapie in Kliniken nicht konsequent umgesetzt, wie eine aktuelle Befragung zeigt. Sie nimmt die Versorgung von Tumorpatientinnen und -patienten an deutschen Krankenhäusern unter die Lupe und legt dar, was die Umsetzung hemmt. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM) nimmt die Untersuchung zum Anlass, erneut auf die Bedeutung eines klinischen Ernährungsmanagements hinzuweisen. Die Fachgesellschaft ist auch an einem offenen Brief an die Bundesregierung beteiligt, in dem eine Verbesserung der Ernährung im Krankenhaus gefordert wird.
Die aktuelle Studie, die von Saskia Wendt vom Israelitischen Krankenhaus Hamburg geleitet und in der „Aktuellen Ernährungsmedizin“ veröffentlicht wurde, widmet sich Patientinnen und Patienten, die sich einer Tumoroperation am Verdauungstrakt unterziehen mussten. Sie sind in mehrfacher Hinsicht von Mangelernährung bedroht und profitieren besonders von einer Ernährungsintervention: Zum einen steigert der Tumor selbst den Energie- und Proteinbedarf, zum anderen begünstigen die gastrointestinalen Beschwerden wie Übelkeit und Erbrechen, die mit der Erkrankung einhergehen, eine Mangelernährung. Von 117 der per Online-Fragebogen kontaktierten Kliniken nahmen 40 an der Befragung teil. In dieser – sicherlich positiv verzerrten – Stichprobe gab die große Mehrzahl (35) an, sich bei der präoperativen Ernährungstherapie an einschlägigen Leitlinien zu orientieren. Zudem würden mehr als drei der von der DGEM empfohlenen Maßnahmen gegen Mangelernährung angeboten. Alle Teilnehmenden gaben außerdem an, in ihrer Klinik würden Ernährungsfachkräfte beschäftigt. Dennoch gaben rund zwei Drittel (27) an, der Ernährungszustand spiele in der ärztlichen Betrachtung eine zu geringe Rolle. Das hemme ein zielführendes präoperatives Ernährungsmanagement. Da Patienten sich in der Klinik erst kurz vor der Operation vorstellen, bliebe keine Zeit für eine Ernährungsintervention, stellte rund der Hälfte der Befragten fest. Als weitere Hürde benannten 21 der 40 Teilnehmenden die bisher fehlende Vergütung der Ernährungstherapie in der Versorgung außerhalb des klinischen Settings.
„Die Hamburger Studie zeigt, dass die Umsetzung des präoperativen Ernährungsmanagements nicht nur die operierenden Krankenhäuser selbst betrifft, sondern auch die vorbehandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie gesundheitspolitische Entscheider“, sagt Professor Dr. med. Matthias Pirlich, niedergelassener Internist und Ernährungsmediziner in Berlin. Sowohl für Niedergelassene als auch für Kliniken könne eine Lösung darin liegen, untereinander und mit selbstständigen Ernährungstherapeutinnen und -therapeuten zu kooperieren und so ein interdisziplinäres präoperatives Ernährungsmanagement aufzubauen. „Hierfür müssen jedoch entsprechende gesundheitspolitische Rahmenbedingungen geschaffen und etwa die Abrechnungsmöglichkeiten angepasst werden“, betont der DGEM-Präsident.
In einem offenen Brief appelliert die DGEM an die Politik, die Weichen im Gesundheitssystem so zu stellen, dass das Potenzial einer gesunden und an die Patientenbedürfnisse angepassten Ernährung besser genutzt werden könne. Gemeinsam mit weiteren Fachgesellschaften und Kliniken fordert die DGEM Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach und Bundesernährungsminister Cem Özdemir auf, die Ernährung in Krankenhäusern als wichtiges Thema in die neue nationale Ernährungsstrategie aufzunehmen. „Die Patientenverpflegung in deutschen Krankenhäusern ist leider meist nicht gesundheitsfördernd“, sagt Professor Dr. med. Johann Ockenga, Direktor des Klinikums Bremen Mitte und DGEM-Vorstandsmitglied, der den offenen Brief mitverfasst hat. Damit laufe sie sowohl dem Genesungs- und Präventionsauftrag der Kliniken zuwider als auch deren Vorbildfunktion in der Gesellschaft. Die Verfasserinnen und Verfasser fordern daher verpflichtende Standards für die Krankenhausernährung sowie eine adäquate Finanzierung. „Derzeit wird die Ernährung als nicht-medizinische Leistung eingestuft, für die die Kliniken durchschnittlich nur 5,14 Euro pro Patient und Tag zur Verfügung haben“, sagt Ockenga. Dieser viel zu geringe Betrag ermögliche keinerlei Steigerung der Essensqualität. Die Hauptforderung an die Gesundheitspolitik zielt daher darauf, das Budget zu erhöhen und die Ernährung im DRG-System angemessen abzubilden: „Das Angebot einer gesundheitsförderlichen Ernährung ist […] essenzieller Teil einer evidenzbasierten medizinischen Behandlung. Ernährung ist Medizin“, heißt es in dem Brief.
Quelle: DGEM